
Die USA belegen Importe mit neuen Zöllen in zweistelliger Höhe, China verschärft Exportkontrollen bei Seltenen Erden, weltweit nimmt der industriepolitische Interventionismus zu. 2025 war ein erneuter Weckruf für Europa – und vor allem ein Realitätscheck: geopolitische Machtverschiebungen, schwindende Standortvorteile und ein Zoll- und Handelsregime, das zum permanenten Stresstest geworden ist. Für eine exportorientierte und technologiegetriebene Industrie wie die unsere ist das eine gefährliche Gemengelage.
Die USA haben in diesem Jahr klar gezeigt, dass sie bereit sind, die Spielregeln des Welthandels einseitig zu verändern – Zölle von 15 bis 50 Prozent sind dafür Ausdruck und Warnsignal zugleich. Der Fairness-Rahmen ist die Rhetorik – faktisch geht es um Machtpolitik. Die Forderungen nach Lockerungen der europäischen Digitalregulierung im Gegenzug für geringere Zölle sind nur eine Ausprägung davon. Darauf hat sich die EU zurecht bisher nicht eingelassen – und sie muss weiter standhaft bleiben. Deals mit Washington funktionieren nur, wenn wir in Europa geschlossen und konsequent auftreten.
Auch China hat die Daumenschrauben weiter angezogen und nutzt seine Monopolstellung bei wichtigen Rohstoffen zunehmend als geopolitisches Instrument. Die Verschärfung der Exportkontrollen bei Seltenen Erden – für unsere Industrie in vielen Bereichen unverzichtbar – war ein harter Schlag. Und der Fall Nexperia im Herbst zeigte, wie schnell Lieferketten politisiert werden können.
Gleichzeitig hat die EU im Inneren mit strukturellen Herausforderungen zu kämpfen. Über das Jahr wurde deutlich, dass Europa sich zu oft selbst im Weg steht. Während andere Regionen gezielt fördern, entlasten und investieren, diskutiert die EU – trotz erster industriepolitischer Förderansätze – über Berichtspflichten, zusätzliche Regulierungsebenen und kleinteilige Auflagen. Bürokratieabbau bleibt politisches Ziel – aber seine Umsetzung kommt nur schleppend voran. So untergräbt Europa seine eigene Wettbewerbsbasis: Überregulierung kostet Geschwindigkeit, Innovationskraft und am Ende Resilienz.
Für eine Industrie, die global im Wettbewerb steht, ist das existenziell. Unsere Unternehmen brauchen Planungssicherheit, bezahlbare Energie, funktionierende Genehmigungsprozesse und Regulierung mit Augenmaß. Positiv ist: Europa kann selbst dafür sorgen, seine Bremsen zu lösen – und seine industriellen Stärken besser ausspielen: einen offenen Binnenmarkt, vorhandene Innovationskraft, harmonisierte Normen und hochwertige Technologien. Was wir nicht brauchen, ist ein reflexhafter Rückzug aus offenen Märkten oder ein Zuviel an Regulierung.
Europa muss selbstbewusst dafür sorgen, dass wirtschaftliche Offenheit und industrielle Stärke kein Widerspruch sind – mit klaren Forderungen nach Reziprozität, mit Verhandlungen über Ausnahmen, mit Notbremsen, falls Absprachen nicht halten, und mit wirksamen eigenen Instrumenten. Dazu gehört auch die Diskussion um Local-Content-Vorgaben. Sie sollten anwendungsbezogen dort greifen, wo sie Standorte tatsächlich robuster machen – und nicht zum pauschalen Ersatz für fehlende Standortreformen werden. „Resilienz ohne Abschottung“ muss das Ziel sein.
Eine starke europäische Industrie ist die beste außenpolitische Währung, die wir haben. So kann Europa selbstbewusst gegenüber USA und China auftreten – nicht konfrontativ, aber konsequent.
Dr. Nikolas Keßels,
Bereichsleiter Global Affairs & Konjunktur